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Lektüre- und Vermakrtungsstrategien der Neuen Rechten

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Geht es um neurechte Literatur, kommt die Rede meist auf den rechten Verleger Götz Kubitschek, der mit dem Verlag Antaios, reger publizistischer Tätigkeit sowie taktisch-provokanten Aktionen immer wieder in Erscheinung tritt. Seit Längerem gibt es jedoch ein Bestreben der Neuen Rechten, die eigenen Verlagstätigkeiten und literaturkritischen Formate auch über Kubitschek hinaus als vielgestaltig erscheinen zu lassen. Jede Nische soll besetzt und für jedes Publikum etwas geboten werden: So verlegt der Hydra-Verlag Comics, der Oikos-Verlag vertreibt die Zeitschrift Die Kehre zu Umwelt- und Naturschutz. Auch der Jungeuropa Verlag bespielt eine Nische: Er gibt sich jünger und poppiger als sein großer Bruder Antaios. Neben eigenen Romanreihen mit bunten Covern und kurzen Essaybänden kann dort auch eine Jubiläumsausgabe von Tolkiens "Der Herr der Ringe" bestellt werden, dessen Inhalte die Neue Rechte gerne für sich beansprucht. Trotz personeller Überschneidungen zwischen den einzelnen, teils sehr kleinen Verlagen, erscheint so nach außen das Bild einer lebendigen und diversen "Gegenkultur" zum etablierten Literaturbetrieb.
 
Der Podcast des Jungeuropa Verlag existiert seit 2016, inzwischen ist Jungeuropa-Autor Volker Zierke Philip Steins fester Gesprächspartner; die Folgen erscheinen mal einmal im Monat, mal wöchentlich auf den üblichen Plattformen. In betont lockerer Gesprächsatmosphäre, gerne unterlegt mit hörbaren Schlucken aus der Bierflasche, werden neben eigenen Neuerscheinungen auch Bücher, Filme und Serien jenseits des Verlagsprogramms besprochen. Gerade bei den zahlreichen Buchbesprechungen geht es auch um eine Reflexion des eigenen Leseverhaltens. Lesen und Literatur sind hier für die Neue Rechte nicht nur Säule ihrer (politischen) Tätigkeit, sondern der Podcast auch Format bewusster Auseinandersetzung mit der eigenen Lektürehaltung und dem Publikum. So diskutiert Zierke mit Stein eigene Veröffentlichungen im Jungeuropa Verlag genauso wie "Harry Potter" oder Bücher von Christian Kracht. Ideologisch uneindeutige Literatur wird dabei stets auf die möglichen Überschneidungen und Abgrenzungspunkte mit dem eigenen Weltbild hin abgeklopft: Nimmt die Geschichte Aspekte rechter Kulturkritik auf? Werden Hierarchie, Ordnung und Autorität entsprechend gewürdigt? Gibt es Darstellungen von Diversität oder feministischer Emanzipation, die es zu problematisieren gilt? Wie lässt sich im Zweifel dennoch eine Lektüre "von rechts" rechtfertigen?
 
In einer Folge mit dem Titel "Eisbrecher und Türöffner - Lesen von und nach rechts" empfehlen Stein und Zierke bspw. gute Einstiegslektüren für junge Menschen, die sich intellektuell der Szene annähern wollen. Neben "Der Eisvogel" von Bestseller-Autor Uwe Tellkamp, der nach Zierke ein jugendliches Frustgefühl produktiv macht und literarischen die Radikalisierung führt - der Protagonist gerät in einen rechten Geheimbund, es kommt zu einer gewaltsamen Eskalation -, werden auch Autoren wie Domenico di Tullio empfohlen, Anwalt der neofaschistischen italienischen Bewegung Casa Pound.
 
Radikalität taucht wiederkehrend positiv konnotiert in den Folgen auf, mit einem ausgeprägten Bewusstsein für die Provokation: "(...) natürlich wollen wir die Gesellschaft radikal verändern, sonst würden wir hier ja nicht sitzen", konstatiert bspw. Stein. Gespielt wird dabei auch mit der stereotypen Figur des Nazi-Schlägers in Springerstiefeln, von der sich Zierke und Stein in ihrem intellektuellen Habitus performativ absetzen - und sie gleichzeitig mit bewusst gesetzten verbalen "Entgleisungen" immer wieder einholen. Dieser Gestus soll nicht nur mögliche Kritik ironisieren und entwerten, er zeigt auch auf, dass im Podcast linke Opposition und gesellschaftliche Empörung offensiv mitgedacht werden.
 
Immer wieder geht es bei Stein und Zierke um das Anliegen, mit Literatur eine Möglichkeit zur Identifikation zu bieten. Dabei ist beiden bewusst, dass der Jungeuropa Verlag aktuell zuvorderst für Menschen aus der radikal rechten Szene mit entsprechender Erwartungshaltung eine Anlaufstelle ist: Das Publikum bestehe vor allem aus Lesern, "die natürlich auch Literatur lesen wollen, die sich mit ihnen und ihrer Lebensweise beziehungsweise den Themen, mit denen sie sich beschäftigen, auch zu tun hat (sic)." Eine solche literarische Ästhetisierung politischer Inhalte und Weltbilder lässt sich an der Besprechung des Buches "EuropaPowerbrutal" (erschienen 2021 im Jungeuropa Verlag) von John Hoewer, ehemaliger Fraktionsmitarbeiter der AfD in Sachsen-Anhalt, nachvollziehen. Das Buch wird im Podcast wiederholt als "Szeneroman" beworben; auch Hoewer kommt ausführlich zu Wort, begleitet vom Klirren der Eiswürfel in den Aperol-Spritz-Gläsern, eine Anspielung auf das Buchcover. Der Alkohol wird während des Gesprächs demonstrativ und in trauter Männerrunde konsumiert und spiegelt damit einen Aspekt jenes jungrechten Lebensgefühls, das auch der Roman vermitteln soll.
 
Das Buch beschreibt den Roadtrip eines jungen Mannes, der unter dem Vorwand journalistischer Arbeit rechte und neofaschistische Bewegungen in Europa besucht, sich mit seinen Gastgebern besäuft und durch die Nächte prügelt. Was im Podcast - in Hinblick auf ein zu erreichendes Publikum - als "Lifestylisierung" radikaler Inhalte in literarischer Form aufgegriffen wird, zeigt, wie die Neue Rechte auf Register des Populären zurückgreift, um sich für die eigene Szene, aber auch für junge Menschen allgemein als attraktiv zu inszenieren.
 
Mit literarischen Roadtrips und kumpelhaftem Kneipenfeeling wird ein lockerer Ton gesetzt, der Harmlosigkeit suggeriert, in dem aber rassistische Diagnosen etwa von "Überfremdung" ebenso vorgetragen werden wie homophobe und antifeministische Spitzen gegen eine "linksliberale Ideologie". Im Gestus des aufmüpfigen Dagegenhaltens werden rechte Positionen offensiv zur Schau gestellt und im Podcast die eigene Radikalität normalisiert. Zugleich werden rechte Lektüren beworben und angeleitet, um auch einem breiten Publikum den Weg in die Radikalisierung zu ebenen.

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