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Rechte Welten in den 1990er-Jahren und ihre Folgen

created Oct 1st, 05:40 by LPD24


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Bomberjacken, Domestos-Jeans, Springerstiefel - mit diesen Kleidungsstücken plus Baseballschläger verbinden viele Menschen auch heute noch gewaltbereite rechtsextreme Jugendgruppen, die in den 1990er-Jahren das Bild ganzer Orts- und Stadtteile, vor allen in den neuen Bundesländern, dominierten. Vom "antifaschistischen Schutzwall" der DDR schien nach dem Fall der Mauer im Jahr 1989 nicht viel übrig zu sein. Ein wachsender offenkundiger "moderner" Rechtsextremismus wurde auf einmal in Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Solingen und Möllns sicht- und spürbar. Dabei haben rechtsextreme Haltungen, Antisemitismus und Rassismus im Westen wie im Osten eine lange Tradition.
 
Rechtsextreme Jugend in der BRD
In der BRD wurde im Jahr 1952 die Wiking-Jugend gegründet. In dieser NS-Jugendorganisation radikalisierten sich über Jahrzehnte auch Menschen, die ab den 1980er-Jahren zu wichtigen Akteuren rechtsextremer Szenen und Kulturen im Westen und später auch im Osten geworden sind. darunter waren Neonazis wir Frank Rennicke, Michael Kühnen und Thorsten Heise. Die Wiking-Jugend trat bis zu ihrem Verbot 1994 traditionell völkisch-rassistisch und antisemitisch auf. Ihr Stil mit Frisuren ähnlich der Hitler-Jugend, uniformen Auftreten, Lagerfeuerromantik und NS-Liederabenden sprach aber nur eine sehr begrenzte Zahl von Jugendlichen an. Jugendlichen, die auf Skinheads, Metal, Punk oder Fußball standen, schien sie eher aus der Zeit gefallen; sie wollten keine Parteisoldaten sein, gleichzeitig waren nicht wenige offen für rechte Ideologien.
 
Rechte Jugendkulturen in der DDR
Ian Stuart Donaldson, Sänger der britischen Rechtsrock-Band Skrewdriver, hatte dies bereits in den 1980er-Jahren erkannt. Er selbst hatte sich vom  nicht-rechten Skinhead zu einem führenden Nazi-Skin entwickelt und 1987 das rechtsextreme Musik-Netzwerk Blood and Honour gegründet. In diesem vernetzten sich Rechtsrocker aus verschiedenen Ländern und organisierten in den 1990er-Jahren auch im Osten Deutschlands zahlreiche Konzerte und Festivals mit rechter Skin-, Punk-, Metal- und Oi-Musik.
Rechte Jugendgruppen hatte es, wenn auch deutlich weniger als in der BD, schon in der DDR gegeben: rechte Skinheads, rechte Metaller, rechte Fußballfans, Kameradschaften - und von ihnen ausgehend auch Übergriffe auf Punks, Grufties, jüdische Menschen und Vertragsarbeiter*innen aus dem Ausland. Rechte Styles und Codes waren auch hier schon einigen bekannt. Neue Angebote stießen daher, aber nicht deswegen allein, auf eine große Nachfrage.
 
Die 1990er: neue Räume und Styles
Selbstverwaltete Jugendzentren waren in den 1990er-Jahren von staatlicher Seite zuhauf geschlossen, Jugendliche an vielen Orten sich selbst überlassen worden. Während in den größeren Städten vor allem privilegierte Jugendliche aus Westdeutschland mit Raves in leer stehenden Gebäuden neue Clubkulturen feierten, entwickelte sich in den schrumpfenden ländlichen Regionen im Osten Langeweile und Frust über den Niedergang der DDR und dessen gravierende Folgen.
Als die Jugendlichen an Bushaltestellen, Tankstellen und Bahnhöfen mit ihren Sauf- und Drogengelagen samt dröhnendem Rechtsrock immer mehr störten, brachte man sie anders unter. Über Angebote und Ansätze der akzeptierten Jugendarbeit bot man ihnen, staatlich gefördert, Räume und Aktivitäten an, in deren Rahmen sie vermeintlich kontrolliert und teils professionell, teils fragwürdig begleitet, rechtsextreme Kultur und Musik zwar leben und gestalten konnten, aber auch kritisch hinterfragen sollten.
Strategen u.a. der rechtsextremen Kleinparteien Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP), Nationaldemokratische Partei Deutschland (NPD), Deutsche Alternative (DA) und der Nationalistischen Front (NF) nutzten die Chance und organisierten und vernetzten in diesen Räumen rechtsorientierte bis offen neonazistische Angebote und Akteure und rekrutierten Jugendliche für ihre Zwecke. Die Polizei schritt wegen unklarer Rechtslagen oder Zuständigkeiten, mancherorts auch mangelnder demokratischer Haltung, nicht immer ein.
Zu Beginn der 1990er-Jahre waren diese Events vor allem mit rechtem Skinhead-Lifestyle verbunden. Später, nach Razzien und Verboten einiger Bands, Tonträger, Fanzines, Parteien und Organisationen wurde die Angebotspalette um Liedermacher, Balladen, rechte Coverversionen von Schlagern und Kinderliedern, NS-Black-Metal, NS-Hardcore, rechten Gabber und rechten Schranz (beides Techno-Stilrichtungen) erweitert - mit teilweise weniger offenkundigen und damit weniger verbotsträchtigen Texten, Marken und Symbolen.
Mit menschenfeindlichen Gassenhauern versuchte die rechte Szene zudem an den ab Mitte der 1990er-Jahre aufkommenden allgemeinen Retrotrend der Schlagerpartys anzuknüpfen und massentauglicher zu werden.
Dabei konkurrierten rechte Gruppen auch miteinander: Freie Kameradschaften lehnten lange Zeit rechte Parteien ab, Blood-and-Honour-Aktivisten stritten mit den Hammerskins um Deutungshoheiten über Rechtsrock, rechte Skinheadgeschichte und Aktionsformen. Vor allem die NPD versuchte, diese Gruppen strategisch zu vereinen. Bereits 1991 hatte ihr Hochschulbund NHB ein Strategiepapier zum Konzept der "national befreiten Zonen" als Freräume für Rechte mit Präsenz- und Sanktionshoheit, als Aufmarsch- und Rückzugsorte mit Zielgebieten im Osten Deutschlands vorgelegt. 1998 stellte die NPD ihr Drei-Säulen-Konzept ("Kampf um die Straße", "Kampf um die Köpfe", "Kampf um die Wähler", 2004 ergänzt um "Kampf um den organisierten Willen") vor, in welchem sie ausdrücklich auch rechte Skinheads und freie Kameradschaften als wichtige Akteure auf der Straße mit einbezog.
Dies passte zu den anderen Vorreitern der Neuen Rechte wie dem 1998/99 gegründeten Netzwerk Identität durch Musik aus Baden-Württemberg, das sich wiederum das Netzwerk RIF - Rock Identitaire Francaise zum Vorbild genommen hatte. Dieses wollte Rechtsrock mit Hardcore, Gothic und Liedermachern im Sinne einer attraktiven jugendkulturellen Bewegung von rechts vereinen.
Der kleine Einblick zeigt, welche tragende Rolle die 1990er-Jahre in der Entwicklung des modernen Rechtsextremismus hin zu rechten Welten mit einer Fülle an unterschiedlichen Aktionsformen, Codes, Musikgenres und Styles hatten. Dazu zählen rechter Rock, Punk, Hardcore, Metal, Hip-Hop oder Techno genauso wie eindeutige, vereinnahmte oder subtilere Modestile und Marken,

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